Edouard Vuillard, der mit Serusier, Denis, Bonnard und Valloton zu den Gründungsmitgliedern der Künstlergruppe der "Nabis" zählt, tritt auch mit "Szene im Café" als ein Chronist des privaten Pariser Lebens auf, das er in zahllosen, kleinformatigen Interieurstücken festhält. Diese Interieurstücke sind, wie Rudolf Koella bemerkte, dabei nicht nur für Vuillard gleichsam die andere Seite der Medaille von Park- und Boulevardszenen, wie wir sie von den französischen Impressionisten kennen. Für die "Nabis" ist das Interieur der von Concierge oder Oberkellner bewachte Lebensraum des Parisers, eine Welt im Kleinen, die sich nicht nur für das Studium bürgerlicher Lebenswelten eignet, sondern auch neue künstlerische Bildsprachen bis hin zur Abstraktion erproben lässt.
In diesem Sinne ist die aus Leimfarben auf Papier hingewischte "Szene im Café" keine vorbereitende Skizze, sondern der Versuch, diesen halböffentlichen Raum in seinen gegenläufigen Bewegungsmomenten von Intimität und Weite adäquat festzuhalten. So steht dem eine Zeitung oder die Karte studierenden Mann im Vordergrund die Tiefe des Restaurants gegenüber und so kontrastieren auch die fahrigen Pinselstriche in Grau und Weiß dem monolithischen Schwarz von Abendkleidung und Frack - eine gelungene, atmosphärisch spannungsvolle Charakterisierung des Paris der Belle Époque.