Selten ist die Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Lebenswirklichkeit einer ganzen gesellschaftlichen Schicht so ambivalent dargestellt und zusammengefasst worden wie in den Frauenporträts Gustav Klimts. In ihnen kommt das Selbstverständnis eines Bürgertums zum Ausdruck, welches sich einer - zumindest oberflächlichen - ästhetischen Durchdringung aller Lebensbereiche verpflichtet weiß. Das Bildnis "Margarethe Stonborough-Wittgenstein" ist ein solches Porträt, wenn auch ein Porträt, das der eigenständigen und intellektuellen Persönlichkeit der Dargestellten wohl nicht gerecht wurde.
Es zeigt die Tochter des Stahlmagnaten Karl Wittgenstein, der u. a. den Bau des Wiener Secessionsgebäudes erheblich unterstützt hatte und der auch als Auftraggeber des Porträts seiner jüngsten Tochter und Schwester des Philosophen Ludwig Wittgenstein angesehen werden muss. Die zu diesem Zeitpunkt noch unverheiratete Margarethe trägt ein langes Samt-Moirée-Kleid aus der Wiener Werkstätte mit einer passenden Stola, deren gestickte Blumenornamente geschickt mit der glatten changierenden Robe kontrastieren. Der so subtil inszenierte Gegensatz von Naturalismus und Geometrisierung dominiert dabei das gesamte Bild, dessen architektonische Elemente die flächige Aufteilung des Hintergrundes akzentuieren und beleben. Zusammen mit dem "Bildnis Fritza Riedler" und "Adele Bloch-Bauer I" muss das Münchner Bild daher zu den beeindruckendsten und konzentriertesten Gemälden Klimts gezählt werden, ohne jedoch die Zustimmung der Porträtierten finden zu können, die das Bild angeblich zunächst auf den Speicher verbannte.