Die vorliegende Version der "Sünde" ist eine von zahlreichen Fassungen des Themas, die zwischen 1891 und 1912 entstanden sind und in der Komposition meist nur geringfügig voneinander abweichen. Es handelt sich hier um eines von Stucks Erfolgsbildern, das immensen Eindruck auf die Zeitgenossen machte.
Einen Widerhall dieser starken Wirkung finden wir in Hans Carossas autobiographischem Roman "Das Jahr der schönen Täuschungen": "Der Ruhm des Bildes trieb uns durch die Säle [der Secession]; nirgends verweilten wir und öffneten die Augen erst, als wir ihm endlich gegenüberstanden. In seinem breiten, monumentalen Goldrahmen war es auf einer besonderen Staffelei zur Schau gestellt; ein Halbkreis von Neugierigen umgab es ... Die Hüte hatten wir aus Achtung vor der Kunst ohnehin schon abgenommen ... nun starrten wir auf die Haar und Schlangennacht, die von dem blassen Frauenleib nicht allzu viel sehen ließ. Das beschattete Gesicht mit dem bläulichen Weiß der dunklen Augen trat nur anfangs zurück hinter dem Eisenglanz der angeschmiegten Schlange, ihrem bösen, schön entworfenen Kopf und der matten Rautenzeichnung des Rückens, über den eine silberblaue Linie zog wie eine Naht. In Düsternis und Blässe schwebte das ganze Bild; nur oben im Winkel brannte bedeutsam ein rötliches Hellgelb. Es gibt Kunstwerke, die den Sinn für Gemeinschaft in uns kräftigen, und andere, die uns in die Vereinzelung locken; zu diesen gehörte das Gemälde von Stuck. Diese Figur wies jeden auf einen einsamen Weg, wo er früher oder später einer ihrer lebenden Schwestern begegnen müßte."