Eines der zentralen Altersthemen Pablo Picassos ist das Motiv „Maler und Modell“, das Atelierbild, das gespiegelte Autobiografie und Allegorie zugleich ist. Diese dem Format nach größte Fassung des Bildtypus ist vom 10. bis 12. Juni 1963 entstanden. Sie ist deshalb auf den Tag genau datiert, weil sich der Künstler seit Februar bis Mitte Juni dieses Jahres in etwa 60 Bildern mit dem Motiv impulsiv auseinandergesetzt hat. Auf engem Raum sind Maler und Modell distanzlos zusammengedrängt, nur geschieden durch die membranhafte Staffelei. Ein seltsamer Gegensatz bestimmt die beiden Figuren. Weich aufgelöst in Grünweiß und runden Schwingungen, pflanzlich verformt in Beinen und Gesäß und rhythmisch bewegt, erscheint der weibliche Akt lässig lagernd, tänzerisch, gefäßhaft und vegetativ – Inbegriff der Jugend, Erotik, Lebensfreude. Dagegen sitzt der Maler hartkantig und zum skulpturalen Block verfestigt, umschlossen von Leinwand und Stuhl. Panzerung, „angewachsene“ Palette, die in Röhren verwandelten Arme und die Augen machen ihn zum Werkzeug eines zwanghaften Tuns. Auf der Leinwand des Malers entsteht ein schwerfälliger Strich, der das Modell nicht erfasst. Das visionär geöffnete Auge übertrumpft den Blick, der die
Frau anvisiert. Das Bild handelt von der Aufgabe der Kunst, keine Kopie äußerer Wirklichkeit zu sein. Entsteht Kunst dagegen aus Inspiration, ist sie der unvollkommene und subjektive Versuch, Natur, Schönheit und Wahrheit dem Wesen
nach zu erfassen. Der Mann und der Künstler steht, selbst alternd und vergänglich,
seinem Ideal von Leben und Vollkommenheit gegenüber, dem er sich nur in entferntester Weise anzunähern vermag. Die Suche nach dem Wahren drückt
sich nicht nur in der obsessiven Variation des Themas aus, sondern auch in der handschriftlich-spontanen Gestik, die den Akt des Malens zunehmend zu einem
Liebesakt macht.