Bonnards Bild "Femme au miroir" gehört zu mehreren um 1905 entstandenen Interieurszenen des Künstlers, die jeweils eine Frau und einen Spiegel in einem Innenraum zeigen. Das Spiel mit der Reflexion ist hier von großer Bedeutung. Ein stark begrenzter Raumausschnitt ist typisch für diese Szenen, in denen jeweils nur eine Ecke des Raums gezeigt wird, in der der Spiegel aber den anderen Teil des Raums anhand eines Bildes im Bild sichtbar macht. Das Einbringen des Spiegels in die Komposition ermöglicht Bonnard die gleichzeitige Verwendung von Nahsicht, Mittelgrund und Fernsicht im Innenraum.
Das kleinformatige, um 1905 entstandene Bild weist noch nicht die einige Jahre später für Bonnard typische aufgehellte Farbigkeit auf, die mittels des deutlichen Kontrasts des grünlich braunen Mantels und des Bettüberwurfs gegen die helle Wand dennoch sehr kräftig wirkt. Die Formgebung unterstreicht diesen Gegensatz, wobei die vereinheitlichten Konturen an die Flächenholzschnitte Félix Vallottons erinnern. Thematisiert wird eine ganz alltägliche Bewegung, die Versunkenheit einer weiblichen Figur in das Betrachten ihres Spiegelbildes beim Schließen des Mantels. Der eigentliche Porträtgedanke verfällt zugunsten des Motivs des In sich Ruhens in sicherer, geordneter bürgerlicher Existenz.