Das kleine Interieurbild bringt die bürgerlichen Ideale der Restaurationszeit besonders gut zur Anschauung. Die einfache Tätigkeit der Hausarbeit wird von der jungen Frau mit Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit ausgeführt - darauf verweist auch die auf der Fensterbank liegende Bibel. Nichts kann sie in der Konzentration auf ihr Nähzeug stören, und auch der Betrachter des Bildes wird durch nichts von diesem zentralen Motiv abgelenkt.
Die Wände des hohen Raumes sind in einem warmen Grün getönt. Als einzige Zierde hängt eine Draperie von der Decke herab. Das Licht der Lampe reicht gerade aus, um das unmittelbare Gesichtsfeld der Frau zu erhellen und legt somit auch den Fokus des Betrachters fest. Fast wie ein Eindringling muss sich dieser fühlen, weil er die harmonische Ruhe der häuslichen Szene zu stören wagt.
Die stille Versenkung in einfache "niedere" Tätigkeiten wurde erstmals im 18. Jahrhundert bei Jean Baptiste Chardin zum Thema in der Genremalerei, in dessen Tradition Kerstings Malerei durchaus zu sehen ist.